Umtriebiger Stachelpelz
| Text: Gabriele Metz |
Er zählt zu den ältesten Säugetieren, fällt durch seine Stacheloptik auf, wurde in der Vergangenheit als Delikatesse geschätzt und sogar als Pflegemittel für Wollwaren missbraucht: der Igel. Es gibt verschiedene Arten, wobei der Braunbrustigel in Europa am verbreitetsten ist.
Eifriges Rascheln, genüssliches Schmatzen, empörtes Keckern, lautes Fauchen oder durchdringendes Kreischen in Notsituationen … – Igel sind fürwahr keine leisen Tiere. Sie lärmen bei der Nahrungssuche, knacken geräuschvoll Schneckenhäuser auf, streiten laut mit Artgenossen und untermalen auch ihr Paarungsverhalten mit einer imposanten Geräuschkulisse. Vielleicht ziehen sie deshalb so viel Aufmerksamkeit auf sich. Immerhin ist der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) als die am weitesten verbreitete der beiden europäischen Igelarten von der Deutschen Wildtier Stiftung zum Tier des Jahres 2024 gekürt worden.
Aufmerksamkeit ist der Igel gewohnt. Er inspirierte die Geister auch schon in der Vergangenheit. So widmeten die Brüder Grimm dem stacheligen Zeitgenossen einen Platz im 1815 erschienenen zweiten Band ihrer „Kinder- und Hausmärchen“: „Der Hase und der Igel“ handelt von einem durchtriebenen Stachelwesen, das einen Hasen beim Wettrennen austrickst. Kein gutes Image für den Igel? Vielmehr eine Anerkennung seines umtriebigen Wesens. Immerhin besser, als im Topf zu landen. Denn glaubt man dem ehemaligen Chefkoch des Hotels Ritz in Berlin, Werner Fischer, der 1970 ein Buch über exotische Köstlichkeiten aus aller Welt verfasste, galt „Igel auf bosnische Art“ noch unlängst als Delikatesse. Die Details der Zubereitung ersparen wir uns. Jedenfalls wurde das Ergebnis mit einer zuvor präparierten Stachelhaut bedeckt serviert. Heute besteht eine Igeldelikatesse erfreulicherweise eher aus proteinreichen Insekten und dient der Stärkung geschwächter Igel. Dazu später mehr. Ursprünglich aus einem Puppenfilm der Brüder Diehl stammend, mauserte sich Igel Mecki später als Comicfigur zum Maskottchen der Zeitschrift „Hörzu“ und wurde Namensgeber der Meckifrisur – auch Igelschnitt genannt.
Für Aufsehen sorgte ein spektakulärer Fund in den Schieferplatten der Grube Messel bei Darmstadt: ein fossiler Ur-Igel. Gleiches gilt für die Höhlenmalereien von Lascaux, unter denen sich die Darstellung eines Igels befindet. Auch wenn die Vorfahren des Igels bereits vor schätzungsweise 60 Millionen Jahren die Welt bevölkerten und ihn somit zu einem der ältesten Säugetiere überhaupt machen, näherte sich ihr Aussehen erst vor circa
15 Millionen Jahren dem heutigen Erscheinungsbild an.
Gut zu Fuß
Der territoriale Einzelgänger, dessen Stachelhaut man im Mittelalter zum Aufrauen von Wollwaren nutzte, ist vor allem während der Dämmerung und nachts anzutreffen. Tagsüber wechselt er höchstens von einem Tagesnest zum nächsten und trifft auf seinen Wanderungen manchmal auch auf andere Igel. Wobei er in der Regel nicht mit Artgenossen zankt, wenn diese sein Territorium durchqueren. Im Schutz der Dunkelheit jagt der Igel Insekten, Regenwürmer, Spinnen, Schmetterlingsraupen und manch-mal sogar Frösche und Mäuse. Schnecken verzehrt er auch, allerdings seltener als die anderen Leckerbissen. Während der Nahrungssuche legen Igel problemlos mehrere Kilometer zurück. Offiziell gehört der stachelige Geselle zur Ordnung der Insektenfresser – wie auch der Maulwurf und die Spitzmaus.
Igelkarussell
Von Juni bis August widmen sich Igel der Fortpflanzung. Das Liebesspiel ist sanft und voller Vorsicht. Das paarungswillige Männchen umkreist das Weibchen, das beeindruckende Schnauflaute von sich gibt. Das oft fälschlicherweise als Auseinandersetzung zwischen Igeln interpretierte Igelkarussell ist das Vorspiel für den Paarungsakt, der im Idealfall zu einer 35 Tage dauernden Tragzeit führt. Anschließend kommen durchschnittlich vier bis fünf Jungigel zur Welt. Die zwölf bis 25 Gramm leichten und rund sechs Zentimeter langen Mini-Igel sind bei der Geburt blind und taub. Rund 100 weiße, weiche Stacheln zieren ihre Rücken. Allerdings sind sie zu diesem Zeitpunkt noch durch eine dünne, mit Flüssigkeit gefüllte Haut verdeckt, damit sich das Muttertier bei der Geburt nicht daran verletzt. Später werden es 5 000 bis 7 000 stabile Stacheln sein, die aus verhornten Haaren bestehen und ab und an ausfallen, dann aber wieder nachwachsen. Die Stacheln sind innen hohl und können einzeln aufgerichtet werden. Das imposante Stachelkleid schützt den Igel vor Feinden. Ein am Rand des Stachelfells verlaufender Ringmuskel ermöglicht ein blitzschnelles Zusammenrollen bei Gefahr. Falls erforderlich, vermag der Igel sogar bis zu zwölf Stunden lang in dieser sportlichen Position zu verharren. Die leicht gekrümmte Form der Stacheln und ihre Verdickung am Ansatz verhindern, dass sich der Igel – zum Beispiel bei einem Aufprall – selbst mit seinem Stachelgewand verletzt. Der von Braun über Weiß bis hin zu Schwarz reichende Farbverlauf der Stacheln ist die perfekte Tarnung, wenn sich der Insektenfresser in seinem natürlichen Lebensraum bewegt. Zurück zum Nachwuchs: Circa 42 Tage lang nähren sich die Kleinen an der Milchbar ihrer Mutter. Nach rund zwei Wochen öffnen sich ihre Augen, und auch die Ohren sind nun funktionsfähig. Mit etwa 300 Gramm Lebendgewicht startet der Igelnachwuchs in ein selbstständiges Leben und muss sich fortan selbst ernähren. Im Herbst erfolgt die Nahrungssuche auch tagsüber, weil es dann gilt, sich vor dem Winter ausreichende Fettreserven anzufressen.
Ab November beziehen Igel ihr Winterquartier, in dem sie die kalten Monate verschlafen. Wann genau sie sich in Laub- oder Reisighaufen verkriechen, hängt von den Bodentemperaturen ab. Liegen diese stabil um den Gefrierpunkt, bezieht der Igel sein Winterlager, in dem er in der Zeit des Winterschlafs bis zum nächsten Frühling bis zu 40 Prozent seines Körpergewichts verliert. Abhängig vom Wetter verlassen Igel ihr Winterquartier im April oder Mai. Dass Igel Winterschlaf benötigen, hat einen speziellen Grund: Aufgrund der Stacheln fehlt es ihnen auf dem Rücken an Wärmeschutz. Der weiche, wärmende Pelz überzieht nur Kopf, Bauch und Beine. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, denn nicht alle Igelarten auf der Welt halten einen langen Winterschlaf. In Wüstenregionen lebende Arten sind beispielsweise fast das ganze Jahr über aktiv. In besonders kalten Regionen verschlafen Igel dahingegen bis zur Hälfte des Jahres.
Igel haben eine Lebenserwartung von sieben bis acht Jahren. Meistens überleben sie in freier Natur aber nur zwei bis vier Jahre. Sie wiegen im Durchschnitt 800 bis 1 500 Gramm. Bringen Jungtiere im November weniger als 500 Gramm auf die Waage, bedürfen sie in der Regel menschlicher Hilfe, um zu überleben.
Igelschutz
Igelschutz ist heute wichtiger denn je. Die Bestände des Braunbrustigels gehen seit Jahren merklich zurück, und das nicht nur in Deutschland: In Großbritannien etwa ist die Zahl der Igel seit 2000 um 75 Prozent geschrumpft. In Deutschland steht der Erinaceus europaeus inzwischen auf der Vorwarnliste zur Roten Liste der bedrohten Säugetierarten. Laut Bundesnaturschutzgesetz zählen Igel zu den besonders geschützten Tieren, die weder gefangen, verletzt noch getötet werden dürfen.
Hilfsbedürftigen Igeln sollte man dabei helfen, ihr Überleben zu sichern. Dazu zählen verwaiste Igelsäuglinge, die sich tagsüber außerhalb des Nestes befinden. Man erkennt sie an ihren geschlossenen Augen und Ohren. Auch verletzte, unterernährte und kranke Igel brauchen Unterstützung. Jungigel, die Anfang November noch weniger als 500 Gramm wiegen, sind ebenso hilfsbedürftig wie Stachelpelze, die bei Dauerfrost oder Schnee aktiv sind. Genaues Hinsehen ist hier jedoch wichtig. Denn übertriebene Aktionen können mehr schaden als nützen. Gesunde, gut genährte Tiere brauchen kein beheiztes Haus, um zu überwintern. Wer sie dennoch aufnimmt, verstößt sogar gegen das Bundesnaturschutzgesetz, das ausschließlich die Aufnahme hilfloser, verletzter oder kranker Braunbrustigel erlaubt. Diese sollten zudem als Erstes einem Tierarzt oder einer Igelstation vorgestellt werden, da sie in der Regel medizinischer Versorgung bedürfen.