Von wegen Teufelsnadel!
| Text: Gabriele Metz |
Sie jagen effizienter als der Weiße Hai und stellen mit ihren Flugkünsten jeden Hubschrauber in den Schatten: Libellen. Dass sie stechen, ist übrigens ein haltloses Gerücht. Wobei Beutetiere angesichts der pfeilschnellen Luftjäger tatsächlich nichts zu lachen haben.
Pferdestecher, Teufelsnadel oder auch Augenstecher nannte man sie früher, wobei Libellen gar keinen Wehrstachel besitzen. Der vermeintlich gefährliche Stachel am Ende des Hinterleibs ist ein stumpfer Legebohrer, mit dem manche Libellenarten in Pflanzen oder Totholz stechen, um dort Eier abzulegen. Doch der alte Volksglaube hält sich hartnäckig, und noch immer fürchten sich manche Zeitgenossen vor diesen wunderschönen Wesen, die andere Insekten wie Mücken oder Fliegen blitzschnell in der Luft erbeuten und sich seit der Zeit der Dinosaurier kaum verändert haben. Vergleicht man Arten, die vor 150 Millionen Jahren lebten, verblüfft die Ähnlichkeit mit den heutigen Insekten. Rund 5 000 verschiedene Libellenarten durchschwirren aktuell die Welt mit ihren filigranen Flügeln, deren Spannweite stark variiert. Manche Arten flitzen mit nur zwei Zentimetern Flügelspannweite rasant durch die Lüfte, andere beeindrucken mit sage und schreibe 15 Zentimetern. Die größten bekannten Flügelspannweiten von Libellen lagen allerdings sogar bei bis zu 75 Zentimetern. Davon zeugen Versteinerungen von Insekten, die vor über 300 Millionen Jahren entstanden sind.
Bewegungskünstler
Doch die Ursprünglichkeit dieser Insekten ist nicht das einzig Außergewöhnliche, wenn es um Libellen geht. Auch ihre Flügel verblüffen aus gleich mehreren Gründen. So halten sie beispielsweise hohen Belastungen stand, ohne abzuknicken. Möglich machen das ihre spezifische Zickzackform und der Nodus, ein Knotenpunkt, in dem die Flügeladern zusammenlaufen. Jeder einzelne Flügel ist damit ausgestattet und erhält dadurch eine beeindruckende Stabilität. Doch Libellenflügel sind nicht nur widerstandsfähig, sondern befähigen ihre Trägerin auch zu atemberaubenden Flugmanövern, die selbst mit Helikoptern ausgestattete Kunstflieger in den Schatten stellen. Libellen sind wahre Flugkünstler. Sie fliegen mit bis zu 50 Stundenkilometern, vermögen ganz ruhig dahinzugleiten oder aber auch fliegend in der Luft zu stehen, wie beispielsweise beim Ruckelflug, den Spaziergänger mitunter als Angriffsmanöver fehlinterpretieren. Einer in der Luft stehenden Libelle, die sich ruckelnd auf- und abbewegt, liegt es jedoch völlig fern, einen Menschen anzugreifen. Vielmehr betrachtet sie ihn aus luftiger Höhe. Einige Libellenarten können im Flug sogar den Rückwärtsgang einlegen. Möglich macht das eine spezielle Muskulatur, die direkt an den Flügeln ansetzt. Diese ist auch für ihre blitzschnellen Wendemanöver zuständig. Die rasanten Richtungswechsel der Libelle sind somit dieser speziellen Konstruktion des Flugapparates zu verdanken. Jedes einzelne der beiden Flügelpaare kann separat gesteuert werden.
Doch nicht nur beim Fliegen stellen Libellen eine außerordentliche Bewegungsfähigkeit unter Beweis. Auch die Paarung verläuft mit geradezu akrobatischem Potenzial. Männliche Libellen umklammern mit ihren am Ende des Hinterleibs befindlichen Zangen im Flug den Kopf der weiblichen Libelle. In Form einer sogenannten Paarungskette fliegen die beiden eine Zeit lang dahin, bevor schließlich die eigentliche Paarung beginnt: Dazu biegt das Weibchen seinen Hinterleib und seine Genitalöffnung nach vorn, um sich mit dem Begattungsorgan des Männchens zu verbinden. Ein Ritual mit formschönem Finale: Bei der Paarung bilden beide Partner eine herzförmige Figur.
Nachwuchs
Die daraufhin stattfindende Eiablage erfolgt – abhängig von der jeweiligen Libellenart – auf unterschiedliche Art und Weise. Manche Arten werfen ihre Eier über der Wasserfläche ab, während sie noch in Paarungsstellung miteinander verbunden sind. Andere lösen sich voneinander, kurz bevor das Weibchen die Eier mit Wippbewegungen des Körpers ins Wasser fallen lässt. Ande-re bohren mit dem fälschlicherweise in Verruf geratenen imposanten Legebohrer Löcher in Wasserpflanzen oder Totholz und verstecken die Eier dort. Die Vorlarven, die später aus den Eiern schlüpfen, haben noch keine beweglichen Glieder. Aus ihnen entstehen Larven, die auf dem Boden von Gewässern oder in Wasserpflanzen ihrer Beute auflauern. Auf dem Speiseplan stehen vor allem Mückenlarven und Bachflohkrebse, die sie mithilfe einer sehr speziellen Form von Unterlippe erhaschen. Dabei handelt es sich um eine mit beweglichen Dornen ausgestattete Fangmaske, die sie blitzschnell nach vorn bewegen können. Mit dieser effizienten Jagdwaffe erlegen Libellenlarven mitunter sogar Kaulquappen und Mini-Fische.
Libellenlarven häuten sich – abhängig von der Art – bis zu 13 Mal. Bis ihre Entwicklung vollständig abgeschlossen ist, können bis zu fünf Jahre vergehen. Eine lange Zeit für einen großen Moment: das Schlüpfen der Libelle, die sich schon kurz darauf in die Lüfte erhebt. All das ist der Auftakt zu einem kurzen Leben, das bereits nach wenigen Wochen endet. Der Prozess des Schlüpfens ist durchaus sehenswert, wenn ihn auch die wenigsten je live miterleben dürften. Die vollständig entwickelte Larve verlässt das Wasser, und schon setzt eine faszinierende Verwandlung ein. Binnen weniger Stunden schlüpft das Insekt und hinterlässt eine leere Larvenhülle. Anfangs sind die Flügel der Libelle noch nicht vollständig entfaltet, doch schon nach wenigen Stunden zeigen sie ihre gesamte Eleganz und Funktionalität. Das schillernde Insekt ist bereit, die Welt im Fluge zu erobern.
Groß-, Klein- und Urlibellen
Libellen werden in folgende Unterordnungen unterteilt: Groß-, Klein- und Urlibellen. Letztere umfassen vier noch existente fossile Arten. Groß- und Kleinlibellen unterscheidet nicht nur die Körpergröße. Sitzt eine Libelle auf einem Blatt und breitet dabei genüsslich alle vier Flügel aus, handelt es sich zweifellos um eine Großlibelle. Die im Vergleich schlankeren Kleinlibellen klappen ihre Flügel in Ruhestellung meist zusammen. Circa 81 Libellen-arten aus neun Familien leben in Deutschland. Einige sind häufig anzutreffen. Andere sind hoch spezialisiert und zählen zu den Raritäten. Wasser spielt eine zentrale Rolle in ihrem Leben, denn ohne dieses vermögen die schönen Insekten nicht zu überleben. Stehende Gewässer wie Seen, Teiche und auch Tümpel zählen zu ihren typischen Lebensräumen. Aber sie siedeln sich auch gerne in Gartenteichen an, wenn diese naturnah gestaltet sind (dazu später mehr Details). Einige Arten leben auch an Fließgewässern. Zum Beispiel die Gebänderte Pracht-libelle, deren tiefblaue Körperfärbung und grünlich getönten Flügel ein herrlicher Anblick sind. Ruhig fließende und vor allem saubere Flüsse und Bäche sind ihr bevorzugter Lebensraum. Wo die Prachtlibelle lebt, ist die Natur intakt. Verschwindet sie, ist das ein Anzeichen für nachteilige Veränderungen ihres Lebensraumes.
Die teilweise fantasievoll anmutenden Bezeichnungen der verschiedenen Libellenarten haben oft einen durchaus nachvollziehbaren Bezug. So trägt die Herbst-Mosaikjungfer ihren Namen, weil diese Libelle die am spätesten auftretende Libelle Mitteleuropas ist und mit ihrer imposanten Flügelspannweite von über sechs Zentimetern und ihren leuchtenden blauen Flecken erst im Herbst die Augen aufmerksamer Libellenbeobachter zum Leuchten bringt.