Wolf auf dem Vormarsch

| Text: Dr. Johanna Maria Arnold und Dr. Janosch Arnold |

Die zunehmende Ausbreitung des Wolfes wird von manchen begrüßt, von vielen skeptisch gesehen. Aufgrund steigender Schäden gehen einige Bundesländer inzwischen alternative Wege. Die Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht, wie in Niedersachsen, ist einer davon.

Wolfsland Deutschland

Lange Zeit war der graue Jäger aus Deutschland verschwunden, und so galt Deutschland um 1850 als weitgehend wolfsfrei. Seit dieser Zeit wurden immer wieder Einzeltiere erlegt, jedoch ist es ungewiss, inwieweit es sich dabei um bereits zugewanderte Tiere aus dem benachbarten Ausland handelte. Die Erlegung des vorerst „letzten Wolfes“ in der Lausitz wird auf das Jahr 1904 datiert. In den kommenden Jahrzehnten tauchten aus dem Osten wiederkehrend einzelne wandernde Individuen auf. Unterstützt von staatlicher Seite wurden auf dem Staatsgebiet der ehemaligen DDR immer wieder Wölfe erlegt. Erst nach der Wiedervereinigung und nachdem nationale und internationale Schutzbemühungen zu greifen begannen, wendete sich das Blatt. Nach ersten Wolfsbeobachtungen in der Lausitz auf dem Truppenübungsplatz in den Jahren 1996 und 1997 konnte im Millenniumsjahr 2000 auf dem Truppenübungsplatz Muskauer Heide der erste Wurf Wolfswelpen in Deutschland seit über 100 Jahren bestätigt werden. Ein großer Erfolg für den Artenschutz in Deutschland und der Stichtag für die Rückeroberung altangestammter Lebensräume durch eine stark vom Menschen dezimierte Tierart. Insbesondere die Truppenübungsplätze spielten eine wichtige Rolle in der Wolfsausbreitung: Jede durch den großen Beutegreifer neu besiedelte Region wurde über weite Distanzen hinweg von dem nächsten bekannten reproduzierenden Wolfspaar von einem militärischen Gelände aus besiedelt. Deutlich wurde, dass die Truppenübungsplätze mehr noch als Schutzgebiete als Trittsteine für die Rekolonisation in Deutschland fungierten, von denen ausgehend sich die Ausbreitung der Wolfsterritorien anschloss. Die durch den Menschen verursachte Mortalität war auf den Truppenübungsplätzen deutlich geringer als in anderen Gebieten (Reinhardt et al. 2019). Und auch Grünbrücken trugen dazu bei, dass sich Wölfe weiter ausbreiten konnten (Plaschke et al. 2021).

Nur zwei Jahrzehnte ist es her, dass Wölfe nach Deutschland in ein kleines Gebiet in die Lausitz zurückgekehrt sind. Erstmalig im Jahr 2000 in der Oberlausitz an der Grenze zu Polen dokumentiert, ist die Bildung neuer Wolfsrudel mittlerweile ein bundesweites Phänomen, das in den letzten Jahren deutlich an Dynamik gewonnen hat. Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) lebten im Wolfsjahr 2020/21 158 Rudel, 27 Paare und 20 territoriale Einzeltiere in Deutschland. Insgesamt wurden 564 Welpen bestätigt. Das Hauptvorkommensgebiet der Rudel liegt im Norden und Nordosten der Bundesrepublik. Ein „Wolfsjahr“ bezeichnet den Zeitraum jeweils vom 01. Mai eines Jahres bis zum 30. April des darauffolgenden Jahres, es bildet quasi das erste Lebensjahr eines Wolfes ab, von der Geburt der Welpen bis zu ihrem ersten Geburtstag. Vor allem die Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg haben eine größere Anzahl an Wolfsterritorien, aber auch andere Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen beherbergen zunehmend territoriale Wolfsvorkommen (DBBW 2022). So sind die intelligenten Jäger bei Weitem kein Einzelphänomen mehr und dürfen als fester Bestandteil der heimischen Fauna betrachtet werden. Durch ihre Anpassungsfähigkeit gelang es ihnen binnen weniger Jahre, fast vollständig den gesamten Nordteil der Bundesrepublik zu besiedeln und dort Welpen zur Welt zu bringen. Vereinzelte Tiere sind auf ihren ausgedehnten Wanderbewegungen in vielen Regionen Deutschlands aufgetaucht und haben zur Besiedlung vieler Bundesländer beigetragen. Dabei handelt es sich allerdings bei Weitem nicht nur um den Nachwuchs der Lausitzwölfe. Auch Fernwanderer kamen, die Alpen überquerend, aus Italien oder wanderten u. a. aus Südosteuropa ein. So wurden „Wolfserwartungsländer“, wie beispielsweise Niedersachsen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt, schnell zu Wolfsländern. Den Gerüchten um illegale Wolfsaussetzungen konnte mithilfe der Genetik und guter Aufklärungsarbeit Einhalt geboten werden. Das Kolonisationspotenzial des Wolfes ist schon lange bekannt. Studien aus Deutschland bestätigten beispielsweise durch Besenderungsprojekte, dass Wölfe extrem weite Wanderungen unternehmen können und somit auch weit entfernt von fest besiedelten Landstrichen auftauchen. Ein in Deutschland markierter Wolfsrüde lief im Jahr 2009 in wenigen Wochen von Sachsen nach Weißrussland. Vor allem junge Wölfe begeben sich mit Erreichen der Geschlechtsreife auf Wanderschaft und können bis weit über 1 000 Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt neue Rudel bilden. Die Rückkehr der großen Beutegreifer lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Nicht zuletzt auf die Schutzbemühungen, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf EU-Ebene durchgesetzt wurden.

Der Wolf und unsere Gesellschaft

Kaum ein anderes Tier polarisiert derartig wie der Wolf. Er spaltet die Bevölkerung in zwei Lager: das der Wolfsliebhaber und das der Wolfskritiker. Mit dem Wolf kommt mehr zurück als nur ein heimisches Raubtier. Wölfe sind eng mit unserer Kulturgeschichte verknüpft, was sicherlich zu der hohen Emotionalität führt, mit der die Tiere in der Gesellschaft reflektiert werden. Durch die immer weitreichendere Präsenz der Wölfe steigen auch die Konflikte mit Nutztieren. Diese Konflikte begleiten den Wolf: Dort, wo Herdenschutzmaßnahmen noch nicht implementiert sind, sind sie intensiver, und in den Regionen, in denen sich der Wolf bereits etabliert hat, stellen sich meist Fragen der dauerhaften Finanzierung. Bei flächigem Vorkommen des Wolfes ist auch das notwendige Personal vonnöten, um die Konflikte zu moderieren und zu minimieren. Sensible Aufgabenbereiche, die durch hauptamtliche Kräfte der Verwaltung wahrgenommen werden sollten. 

Einst war der Wolf unter den Landsäugetieren der Neuzeit das Tier mit der größten weltweiten Verbreitung. Er lebte auf der gesamten nördlichen Halbkugel nördlich des 15. Breitengrades (inklusive Mexiko, Nordafrika, Arabien und Indien). Der Wolf besiedelte alle möglichen Lebensräume von Wüsten über tiefe Wälder bis hin zu Hochgebirgsregionen. Dies veranschaulicht seine flexible Lebensweise und die Fähigkeit, sich an die unterschiedlichsten Habitate anzupassen. Wichtig für Wölfe ist das ausreichende Vorhandensein von Beutetieren sowie störungsarmen Rückzugsgebieten, in die sie sich tagsüber zurückziehen und in denen sie ihre Jungen aufziehen können. Die An- oder Abwesenheit von Menschen ist eher nachrangig, solange die beiden oben genannten Kriterien erfüllt sind. 

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Verbreitung der Wölfe vor allem in Europa und den Vereinigten Staaten aufgrund eines rücksichtslosen Verfolgungsfeldzuges dramatisch zurückgegangen. So wurde der Wolf in Westeuropa und Skandinavien bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet. Überlebt hat er nur im Osten und Süden Europas (wie in Polen, der Ukraine, Russland, Griechenland, Rumänien, Italien und auf der Iberischen Halbinsel). Heute kehren die Grauhunde in ihre einst angestammten Gebiete zurück und kommen u. a. wieder in Skandinavien, den französischen Alpen, der Schweiz, Österreich, Deutschland und der Tschechischen Republik vor.

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